
Textile Wärme im Norden
In Finnland haben Teppiche eine lange Tradition. Sie schützen vor Zugluft, verbessern die Akustik in Holzhäusern und verleihen Wohnräumen Wärme. Besonders in Lappland sind sie untrennbar mit der Hauskultur verbunden. Drei Gattungen prägen das Bild: der Räsymatto als gewebter Flickenteppich, der Ryijy als langfloriger Wollteppich und die Raanu als klare Webkunst Nordfinnlands.
Räsymatto – Alltag im Flickenteppich
Räsymatto entstanden Ende des 18. Jahrhunderts aus der Notwendigkeit, alte Kleidung und Haushaltstextilien weiterzuverwenden. Zerschnittene Stoffstreifen wurden zu robusten Teppichen verwebt, die Böden schützten und Wärme gaben. Sie gehörten bald in jede Küche, in Flure und Wohnräume. Typisch ist bis heute das sommerliche Teppichwaschen am Fluss oder See. Räsymatto spiegeln die Alltagsgeschichte einer Familie, weil jeder Stoffstreifen ein Stück Vergangenheit enthält.
Ryijy – vom Schutz zur Kunst
Ryijy haben ihre Wurzeln im 15. Jahrhundert. Ursprünglich dienten sie als Decken für Schlittenfahrten oder kalte Winternächte. Sie wurden aus Wolle geknüpft, oft mit langem Flor, und boten hervorragende Isolation. Später entwickelten sie sich zu reich verzierten Stücken mit Mustern, Farben und Symbolen. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert gehörten Ryijy zur Aussteuer einer Braut. Sie waren ein Zeichen von Wohlstand, wurden zu Hochzeiten verschenkt und blieben oft über Generationen im Familienbesitz.
Im 20. Jahrhundert erlebte der Ryijy eine Wiederentdeckung als nationale Textilkunst. Designer und Weberinnen machten ihn zu einem anerkannten Sammlerstück, das heute in Museen hängt oder in moderner Form wieder gewebt wird.
Raanu – Klarheit aus Lappland
Die Raanu ist ein flaches, gewebtes Textil mit klaren Farbflächen und geometrischen Mustern. In Lappland wurden Raanu als Wandbehänge, Tagesdecken oder als Decken auf Schlittenfahrten genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Technik eine Renaissance. Werkstätten wie Lapin Raanu in Rovaniemi trugen dazu bei, dass die Raanu zum Symbol lappländischer Identität wurde.
Samische Einflüsse und besondere Verzierungen
Neben der finnischen Teppichtradition existiert im Norden die samische Kultur, deren Textilien sich durch besondere Materialien und Verzierungen auszeichnen. In samischen Stücken wurden Rentierhaar, Horn- oder Knochenteile, Metallplättchen, Glöckchen und Glasperlen verarbeitet. Sie dienten nicht nur der Zierde, sondern hatten auch eine symbolische Funktion. Klirrende Elemente galten als Schutz vor bösen Geistern. Solche Textilien waren zeremoniell oder festlich und unterscheiden sich klar von den finnischen Räsymatto, Ryijy und Raanu, die in erster Linie dem Alltag dienten.
Aussteuer und symbolische Bedeutung
Teppiche hatten einen festen Platz in der Aussteuer. Besonders Ryijy und Raanu galten als wertvolle Geschenke für eine Braut. Sie symbolisierten Wärme, Geborgenheit und Beständigkeit. Viele Stücke sind mit Jahreszahlen oder Monogrammen versehen, die an Hochzeiten oder Hausbau erinnern. Damit sind sie nicht nur Textilien, sondern auch kulturhistorische Zeugnisse.
Wert, Kosten damals und heute
Historisch waren Teppiche teuer und aufwendig. Im 19. Jahrhundert entsprach der Material- und Arbeitswert eines Ryijy einem erheblichen Teil des Jahreseinkommens eines Landarbeiters. Ein solches Stück war ein Luxus, den sich viele nur durch Eigenproduktion leisten konnten.
Heute kosten handgefertigte Ryijy mehrere tausend Euro. Allein die Materialkosten liegen bei 500 bis 700 Euro, fertig gewebte Stücke können bis zu 5 000 Euro erreichen. Auf dem internationalen Kunstmarkt werden Vintage-Ryijy aus dem 20. Jahrhundert zwischen 2 800 und 3 500 Dollar gehandelt. Antike Stücke aus dem 19. Jahrhundert sind zwar selten, tauchen aber gelegentlich bei Auktionen auf. Dort erzielen sie, je nach Erhaltungszustand, zwischen einigen hundert und mehreren tausend Euro.
Im Vergleich dazu war ein Ryijy im 19. Jahrhundert ein Statussymbol. Während ein Landarbeiter jährlich vielleicht 100 bis 200 Euro (inflationsbereinigt) verdiente, bedeutete die Anschaffung oder Herstellung eines Ryijy ein Viertel bis ein halbes Jahreseinkommen.
Lebensdauer und Reparatur
Mit richtiger Pflege können Teppiche Generationen überdauern. Viele Familien besitzen noch Stücke aus dem 19. Jahrhundert. Räsymatto lassen sich relativ einfach reparieren, indem man einzelne Stoffstreifen ersetzt. Bei Ryijy und Raanu ist die Reparatur aufwendiger, aber möglich. In Finnland gibt es spezialisierte Restauratoren, die historische Textilien fachgerecht ausbessern.
Traditionell werden Teppiche gelüftet, im Sommer am Fluss gewaschen oder im Winter im Schnee gereinigt. Besonders die Schnee-Reinigung war eine schonende Methode, um Wollteppiche frisch zu halten.
Warum Teppiche in finnischen Holzhäusern unverzichtbar waren
Holzhäuser ziehen Luft und sind akustisch hallend. Teppiche halfen, Wärme zu speichern, Böden zu isolieren und Räume leiser zu machen. Räsymatto schützten Dielen, Ryijy und Raanu hingen an kalten Wänden oder am Kopfende des Bettes. Sie waren funktional und dekorativ zugleich und machten aus schlichten Räumen persönliche, warme Lebensorte.
Fazit
Finnische Teppiche sind mehr als Schmuckstücke. Sie verbinden Funktion und Symbolik. Räsymatto stehen für Pragmatismus und Alltagsnähe. Ryijy sind Ausdruck von Wärme, Schutz und künstlerischer Gestaltung. Raanu verkörpern die Klarheit lappländischer Webkunst. Samische Textilien mit Rentierhaar, Perlen und klingenden Verzierungen erweitern das Spektrum um spirituelle und rituelle Dimensionen. Zusammen erzählen sie eine Geschichte von Identität, Beständigkeit und der Suche nach Wärme im hohen Norden.
Quellen und weiterführende Informationen:
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Nationalmuseum Finnland (Kansallismuseo): Sammlung Ryijy-Textilien
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Lapin maakuntamuseo Rovaniemi: Ausstellung zu Raanu-Traditionen
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Taito Organisation Finnland: Kurse und Dokumentationen zu Webtechniken
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Marimekko: Designgeschichte des Räsymatto-Musters
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Sámi Museum Siida, Inari: Informationen zu samischen Textilien
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Bukowskis Auktionen Helsinki: Marktpreise für antike Ryijy
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1stdibs und Pamono: Preise für Vintage-Ryijy des 20. Jahrhunderts
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